DER HANDELSMANN
Die Handelsreisende in Nordrhein-Westfalen lassen sich (grob) in Packenträger (oder Hausierer) und Tödden unterteilen. Packenträger waren Kaufleute mit einem Korb oder 'Kiepe' auf dem Rücken und deshalb wurden sie im Volksmund 'Kiepenkerle' genannt. Sie kamen aus dem Raum Münster bis ins Sauerland. Übrigens ist es nicht so, dass jede zu Fuß gegangen ist. Wenn es einem Handelsreisende besser ging, kaufte er sich ein Reitpferd oder einen hessischen Planwagen mit Pferd. Die Tödden stammten hauptsächlich aus den bekannten Töddendörfern wie Mettingen, Hopsten und Recke und zeichneten sich gegenüber den Packenträger durch einen strengen Organisationsgrad und ein hohes Verkaufswissen aus. Tödden waren oft 12-13 Jahre alt, als sie zum ersten Mal beitraten. Und erst mit 20 durften sie selbstständig zum Kunden gehen. Vermutlich Ende des 18. Jahrhunderts kamen die Töddden auf die Idee, statt Garn und Stoffen zu verkaufen, auch „konfektionierte“ Kleidung an zu bieten. Und das lief so gut, dass einige Tödden einen eigenen Laden gründeten. So gründeten die Brüder Clemens und August Brenninkmeyer aus Mettingen 1841 das erste niederländische Bekleidungslager in Sneek (C&A). Sie zeigten anderen den Weg.
Über die Anfänge und Entwicklung von die Sauerländer Wanderhandel gibt es sehr wenig Quellen-belege. In der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte er jedoch einen beachtlichen Umfang erreicht. In Grönebach waren etwa 70 % der männlichen Bevölkerung Hausierer oder dienten diesen als Handelsknechte. In Hildfeld waren es 50 % und in Niedersfeld 40 %. Am Anfang stand der Handel mit groben Holz-, Eisen- und Stahlwaren aus der engeren Region. Seit dem 18. Jahrhundert kam der Vertrieb von Holzwaren aus Wittgenstein und hochwertigen Eisen- und Stahlwaren aus der Grafschaft Mark, dem Bergischen Land und oberen Sauerland hinzu. Im 19. Jahrhundert erreichte der Handel den Höhepunkt seiner Bedeutung: im Jahr 1849 zählte die amtliche Statistik im Kreis Brilon 745 Wanderhändler (Winterberg gehörte ab 1819 zum Kreis Brilon).
Im 19. Jahrhundert konzentrierte sich die Holzwarenherstellung auf das Gebiet um den Kahlen Asten, vor allem auf die Höhendörfer, aber auch auf die tiefer gelegenen Dörfer Düdinghausen und Siedlinghausen. Holzwaren waren Löffel, Dosen für Butter, Salz und Kaffee, Butterstecher, Salzmörser, Seifentöpfe, außerdem Gegenstände für den landwirtschaftlichen Bedarf wie Wurfschaufeln und Butterfässer. Hinzu kamen Fasskräne für Gastwirte, Winzer und Brauereien sowie Dosen für Apotheken. Der Verkauf erfolgte lange Zeit ausschließlich durch Sauerländer Wanderhändler.
Etwa ab 1830 ging die Holzwaren-Produktion stark zurück, weil „Ersatzartikel“ aus Steingut, Emaille und Blech inzwischen kaum noch teuer waren. Um 1850 wurde nur noch wenig mit Holzwaren gehandelt. Das war für die Höhendörfer natürlich schwer zu akzeptieren. Neben der Arbeit im Wald, der Holzkohleherstellung und etwas Ackerbau/Viehzucht (oft für den Eigenbedarf), blieb für die Höhendörfer nur wenig wirtschaftliche Aktivitäten übrig. Vereinzelt gab es im 20. Jahrhundert noch Holzwaren-Hausierer, die aber durchweg sehr arm waren und nur noch im Sauerland und in benachbarten Gebieten handelten.
Auch für die Wanderhändler aus Winterberg, die fast nur Eisenwaren verkauften wie z.B. Sensen, Sicheln und Äxte, lief es nicht viel besser.1856 lebten noch 170 Hausierer in Winterberg. 1895 waren es nur noch 54. Die Konkurrenz hatte sich verschärft, vor allem von den süddeutschen und österreichischen Wanderhändlern. Und die Zahl der Geschäfte in Deutschland (und in ganz Europa), die Eisenwaren verkauften, wuchs von Tag zu Tag. Dadurch waren die Produzenten weniger abhängig vom Winterberger Wanderhandel - die seit Jahren fast ein Monopol auf den Verkauf von Eisenwaren hatten und mehr oder weniger eine eigene Preispolitik betrieben. Ab 1906 konnte Winterberg über die Bahnstrecke (Nuttlar–Frankenberg) erreicht werden und dies ließ den Tourismus steigen. Die lokale Wirtschaft konnte das 20. Jahrhundert vor allem dank der neue touristischen Aktivitäten (sehr) gut überstehen.
Es gab also große Unterschiede zwischen dem Höhendörfer und dem Winterberger Wanderhändler. Diese wirtschaftlichen Unterschiede hatten sicherlich auch soziale Auswirkungen auf die jeweiligen Gemeinschaften und ihre Fähigkeit, sich an den wirtschaftlichen Wandel anzupassen.
Schlusswort
Viele Männer in Winterberg - Frauen kümmerten sich um die Kinder, das Land und die Tiere - waren im 18. Jahrhundert Holzfäller oder Kohler - der in Meilern Holzkohle herstellten. Die Winterberge Köhler betrieben die Produktion von 'Qualität' Holzkohle - Holzart und Kohlenstoffgehalt - die sehr gefragt war zur Herstellung hochwertiger Eisen- und Stahlwaren. Aber sie taten diese wirtschaftliche Aktivität so exzessiv, dass es Ende des 18. Jahrhunderts, nach fast 100 Jahren, kein Baum mehr übrig war.... Dann suchten immer mehr ihr Glück im Wanderhandel, und sie waren (wieder) so geschickt darin, dass fast von einer 100-jährigen Monopolstellung von der Winterberger Wanderhändel in Eisenwaren die Rede war. Und heute ist Winterberg seit mehr als 100 Jahren als Urlaubsregion 'par excellence' bekannt. Wie groß kann eine kleine Region sein?
Handelsrouten (Heimatbasis in NRW - Waren - Handelsgebiete):
(1) Hochsauerland - Holzgeschirr - Münsterland, Niederlande, Ostfriesland;
(2) Medebach, Schmallenberg - Wollbekleidung (Stricksocken, Mützen, Handschuhe, Jacken) - Rheinland, Niederrhein;
(3) Winterberg, Elkeringhausen, Niedersfeld, Hildfeld, Grönebach, Silbach, Assinghausen, Siedlinghausen – Eisenwaren wie Sensen, Sicheln, Äxte, Meißel, Scheren, Nägel - Pommern, Ostpreußen, Schlesien, Bayern, Österreich, Ungarn, Russland, Nordfrankreich, Belgien, Niederlande;
(4) Hopsten, Mettingen, Recke, Ibbenbüren, Schaf - Textilien (Leinen, Stoffe), Eisenwaren wie Messer, Scheren, Schnallen - Nordfrankreich, Niederlande, Belgien, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Polen, Baltikum, Russland, Schweden, Finnland, Dänemark, Norwegen.
Quellen:
Wilhelm Schwarze - Der Sauerländische Hausiererhandel. In: Untersuchungen über die Lage des Hausierergewerbes in Deutschland (1898).
Peter Höher - Wanderhändler des oberen Sauerlandes (1985).
Wilfried Reininghaus - Wanderhandel in Deutschland (1992).
Ruth Tempel - Der Sauerländer Wanderhandel. Vom Mythos zur Wirklichkeit (1999).
Markus Küpker - Demografischer und wirtschaftlicher Wandel im ländlichen Raum (2008).
Jan L. Wage, Ronald Swensson - Verkaufstechnik im Laufe der Zeit (Niederländisch) (2013).
Robert Jütte - Glossar zur Sundersprache der Sensenhändler im Hochsauerland (2013).
Anna Zschokke - Die europäischen Wanderhandelssysteme (2017).
Jan L. Wage, Ronald Swensson - Research paper Tödden und Teuten (Niederländisch) (2018).
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